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Channel: Medienforscher – Europäisches Journalismus-Observatorium (EJO)
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Parallelwelten

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Journalisten und Medienmanager auf dem Mars, Medienforscher auf der Venus – Praktiker und Wissenschaftler scheinen zunehmend in Parallelwelten und in ihren eigenen Echokammern unterwegs zu sein, die sich ziemlich hermetisch gegeneinander abschirmen.

Wie prekär es um das Ansehen von Journalisten und um die Glaubwürdigkeit von Medien bestellt ist, hätten die Medienpraktiker schon seit Jahrzehnten wissen können – sie hätten dann auch Jahrzehnte mehr Zeit gehabt, angemessen auf den Vertrauensverlust zu reagieren. Stattdessen haben sie einschlägige Erkenntnisse der Medienforscher beharrlich ignoriert, als gingen sie diese nichts an.

Die Alarmglocken hätten bereits schrillen müssen, als ARD und ZDF in Deutschland Mitte der 60er Jahre damit begannen, in der Langzeitstudie Massenkommunikation in Mehrjahresabständen messen zu lassen, wie die Glaubwürdigkeit von Medienberichterstattung wahrgenommen wird. Die ermittelten Werte zeigten schon damals nahezu regelmäßig nach unten. Seit 1998 belegten amerikanische Daten auch, wie weit die Wahrnehmung der Medienschaffenden und der Publika in puncto Glaubwürdigkeit von Journalismus auseinanderklaffte.

Das zweite Beispiel: Georg Mascolo, der den Rechercheverbund von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR leitet, erregte vor einem Jahr branchenweit Aufsehen, als er eine andere Fehlerkultur im Journalismus forderte. Auch das war keine neue Erkenntnis. Bernd Pitz, der heute in Deutschland Medienunternehmen berät, hat dazu 1998 eine Pionierarbeit an der FU Berlin geschrieben. Seither haben Forscher dem Thema immer wieder Aufmerksamkeit gewidmet. Ihre Erkenntnisse waren eindeutig: Verlässliche Korrekturspalten und Ombudsleute, die gelegentlich erklären, weshalb einer Redaktion ein Fehler unterlaufen ist, könnten erheblich dazu beitragen, journalistische Glaubwürdigkeit zu stärken.

Bereits 1998 verblüffte Christine Urban die amerikanische Fachöffentlichkeit mit Befragungsergebnissen, die zeigten, dass die Publika deutlich realistischer als die Journalisten selbst bewerteten, wie fehleranfällig Redaktionsarbeit ist und wie leicht sie sich fremdsteuern lässt. Fast 80 Prozent der Befragten waren der Auffassung, Journalisten ließen sich leicht manipulieren; die Journalisten selbst teilten nur knapp zur Hälfte diese Meinung – ein Ergebnis, in dem sich natürlich Selbstwertgefühl, aber auch die „Kontrollillusion“ des Berufsstands ausdrückt.

Die Medienpraxis hat sich auch hier 18 Jahre lang taub gestellt, und damit die Chance vertan, rechtzeitig etwas zur Rückgewinnung von Vertrauen zu unternehmen. Kaum auszumalen dagegen, welchen Skandal Medien inszenieren würden, wenn sich beispielsweise Ärzte weigerten, Forschungsfortschritte der Medizin zwei Jahrzehnte lang zu ignorieren.

Umgekehrt würden indes auch viele Medienwissenschaftler weit weniger Überflüssiges erforschen, wenn sie ihrerseits engeren Kontakt zu Medienpraktikern hielten. In den Richtlinien der großen Forschungsförderungs-Instanzen wie dem Schweizer Nationalfonds, der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder der Österreichische Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung sind Praxis-Kontakte und Wissenschafts-Transfer ja durchaus erwünscht. Weshalb die Fördereinrichtungen so wenig darauf achten, ob diese auch umgesetzt werden und kostbare Forschungsergebnisse auch in der Medienpraxis oder der Gesellschaft „ankommen“, bleibt deren Geheimnis.

PS: Gut, lenken wir zum Schluss noch ein und relativieren ein wenig. Zumindest auf Kongress- und Tagungs-Podien treffen die prominenteren Abgesandten von Mars und Venus ja weiterhin gelegentlich aufeinander. Indes bleiben auch solche Begegnungen erstaunlich folgenlos. Man hört einander höflich zu, gelegentlich kommt es zu einem Schlagabtausch oder auch einem Techtelmechtel. Aber die Gesprächsdramaturgie und die geforderten Info-Häppchen lassen es kaum zu, Zahlen und Statistiken in einen Kontext einzubetten oder gar mit dem Gegenüber in einen wirklichen Dialog zu treten. Das war‘s dann eben auch – Gruezi wohl, tschüss, servus bis zum nächsten gemeinsamen Auftritt…

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist 2+3/2017

Bildquelle: pixabay.de

 


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